Der Mittelpunkt
Kennen Sie Alois Glück?
Alois Glück, lebte von 1940 - 2024, war Landwirt, Journalist, Politiker der CSU, seit 1970 Landtagsabgeordneter und von 2003 bis 2008 Präsident des
Bayerischen Landtags, also ein durchaus einflussreicher Mensch, so auch gesellschaftlich sehr stark engagiert.
Schließlich war er von 2009 bis 2015 Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), zu einer Zeit, als das ZdK wahrscheinlich wirklich
noch eine Interessenvertretung der meisten Katholiken in Deutschland war, auch wenn dieses eher dem westdeutschen Verbandsdenken entspringt. Heute
fühle ich persönlich mich nicht in irgendeiner Weise vom ZdK vertreten.
Aus der politischen Wirkungszeit von Alois Glück gibt es u. a. das Buch
„Abstieg oder Aufbruch – Plädoyer für eine liberal-konservative
Erneuerung“. 1996 erschienen, ist es auch wirklich ein politisches Buch.
Der Titel klingt nach der berühmten Quadratur des Kreises: Sind wir nun
liberal oder konservativ unterwegs? Seine Ausführungen sind sicher
herausfordernd, gerade auch in der heutigen Zeit, mit so vielen
„seltsamen“ Entwicklungen.
Er schlägt einen Bogen, von der damals jüngeren Historie (1950er Jahre
bis 1989/1990) über den Status in der Mitte der 1990er Jahre und
zeichnet schließlich ein Zukunftsbild, indem er aktuelle Aufgaben zeigt,
Anforderungen formuliert und Visionen entwickelt. Aus heutiger Sicht, 30
Jahre später, klingen seine Ausführungen schon fast prophetisch, ja
wirklich visionär.
Als Mittelpunkt des Buches (die Abschnitte liegen wirklich ziemlich in der
Mitte) und sicher auch als Mittelpunkt seines Leben fixiert Alois Glück das christliche Menschenbild. Er skizziert wichtige Grundprinzipien, unmittelbare
Maxime für alles verantwortliche Handeln:
1.
die Unverletzlichkeit der Menschenwürde, mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
„Alles menschliche Leben ist einmalig und seine Würde unantastbar, weil es nicht aus sich geschaffen, weil es Ebenbild Gottes ist – einer Wirklichkeit, die unser
irdisches Leben übersteigt.“
2.
die Eigenverantwortung jedes einzelnen.
Jeder Mensch ist für sein Leben selbst verantwortlich, damit aber auch für das Schicksal anderer. Dies setzt entsprechende Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten
voraus, oder anders gesagt: Verantwortung setzt Freiheit voraus.
3.
die Erkenntnis, dass Menschen „begrenzt“ sind, Fehler und Schwächen haben.
Wir müssen wissen, dass wir anfällig für Versuchungen sind. Verantwortung heißt deshalb auch, „den Menschen [so zu] nehmen, wie er ist, nicht, wie er sein soll.“.
4.
der Grundsatz der Solidarität, nicht (nur) als anonymer Auftrag, sondern immer „auf den anderen Menschen bezogen“.
Der Appell an die soziale Verantwortung (Solidarität) ist stets verbunden mit Eigen-Verantwortung (Subsidiarität). Eigenhilfe kommt vor der Fremdhilfe.
Alois Glück schließt diesen Abschnitt mit den Worten: „Diese grundlegenden Prinzipien werden heute in vielfacher Weise verletzt.“ Der Begriff „heute“, kann
auch in unserer Zeit wörtlich verstanden werden.
Für sich und sein (politisches) Wirken erarbeitet Alois Glück zwei wichtige Schwerpunkte, der von ihm vertretenen liberal-konservativer Erneuerung:
•
Verkrustungen aufbrechen und Innovationen fördern
•
Die Wurzeln pflegen
Dies beschreibt keinen Gegensatz, sondern sich bedingende Seiten einer Medaille.
Kennen Sie Robert Francis Prevost?
Ja, es ist unser neuer Papst Leo XIV. Wir dürften es alle gemerkt haben. Selbst
die weltlichen Medien waren ja über Tage und Wochen hinweg voll des
ehrfürchtigen Staunens ob der Wahl Kardinal Prevosts.
Dass er in seinem bisherigen Wirken und Leben Gott in den Mittelpunkt gestellt
hat, ist anzunehmen.
Bereits mit seiner Namenswahl stellt er sich in eine beachtliche Kontinuität, die
er wohl überlegt hat. Vor 134 Jahren veröffentlichte Papst Leo XIII. seine
Enzyklika Rerum novarum über „Die neuen Dinge“, in der es um menschliche
Perspektiven ob dem sich rasend entwickelnden Kapitalismus mitten in der
zweiten industriellen Revolution, mit allen großen Chancen und ebenso großen
Problemen geht. Aus den Grundlagen des christlichen Menschenbildes wurden
die Grundzüge der christlichen Soziallehre gezeichnet.
Heute nun schafft die „digitale Ökonomie“, wie es häufig genannt wird, neuen
Ungleichheiten, Herausforderungen aber auch wieder Chancen, nur
wahrscheinlich viel schneller als zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
In den Wochen seit seiner Wahl hat Papst Leo XIV. viel überraschendes gesagt.
Oder ist es für aufmerksame Beobachter doch nicht so überraschend? In jedem
Fall waren Aufbruch, Evangelisierung, Mission wichtige Aspekte. Dafür bin ich
persönlich dankbar. Er knüpft an die Kernbegriffe der von Papst Franziskus
begonnenen Synode an (wohlgemerkt – der römisch-katholischen Kirche, nicht
des deutschen Versuchs):
Partizipation + Gemeinschaft + Mission
Ganz offensichtlich sind dies wichtige Grundsteine für die Kirche der Zukunft.
Aus einem Interview von Kardinal Prevost mit Vatican News vom 4. Mai 2023:
„Wir sind oft damit beschäftigt, die Lehre zu vermitteln, aber wir riskieren zu vergessen, dass unsere erste Aufgabe darin besteht, die Schönheit und die
Freude, Jesus zu kennen, zu vermitteln.“ […]
„Auf der einen Seite gibt es Bischöfe, die offen ihre Besorgnis äußern, weil sie nicht verstehen, wohin sich die Kirche entwickelt. Vielleicht bevorzugen sie die
Sicherheit von Antworten, die sie bereits in der Vergangenheit erfahren haben. Ich glaube wirklich, dass der Heilige Geist in dieser Zeit in der Kirche sehr
präsent ist und uns zu einer Erneuerung drängt, und deshalb sind wir zu der großen Verantwortung aufgerufen: das zu leben, was ich eine neue Haltung
nenne. Es geht nicht nur um einen Prozess, es geht nicht nur darum, einige Dinge zu ändern, vielleicht mehr Treffen zu veranstalten, bevor man eine
Entscheidung trifft. Es ist viel mehr. Aber es ist auch das, was vielleicht gewisse Schwierigkeiten verursacht, denn im Grunde müssen wir vor allem auf den
Heiligen Geist hören können, was er von der Kirche verlangt.“
Schließlich verstärkt er seine Aussage:
„Wir müssen in der Lage sein, einander zuzuhören, zu erkennen, dass es nicht darum geht, eine politische Agenda zu diskutieren oder einfach zu versuchen,
Themen zu fördern, die mich oder andere interessieren. Manchmal scheint es, als würde man alles darauf reduzieren, wählen zu wollen und dann das zu tun,
wofür gestimmt wurde. Stattdessen geht es um etwas viel Tieferes und ganz anderes: Wir müssen lernen, wirklich auf den Heiligen Geist und den Geist der
Wahrheitssuche zu hören, der in der Kirche lebt. Wir müssen von einer Erfahrung, in der die Autorität spricht und damit alles klar ist, zu einer
Kirchenerfahrung übergehen, die die Charismen, Gaben und Ämter in der Kirche zur Geltung kommen lässt.“
Kennen Sie den Heiligen Geist?
Ja, auf diese Frage läuft es letztlich hinaus.
In unserem Umfeld hört man zunehmend: Die Volkskirche ist tot. Wir sollten uns aber davor hüten, die Frömmigkeit des Volkes abzuwerten. Frömmigkeit ist
kein blindes Stochern in der Asche, sondern ehrliche Weitergabe des Glaubens, mit Begeisterung, mit Gott und Christus im Mittelpunkt, im besten Sinne eine
Antwort auf Gottes-Anruf.
„Die Zukunft der Kirche“ stand im Mittelpunkt einer Tagung am 23.05.2025, deren hochinteressante Beiträge im Podcast von Radio Horeb nachzuhören
sind:
https://www.horeb.org/mediathek/podcasts/events/
„Neuevangelisierung - Lebendiger Glaube in der Ortskirche“ so hieß es im Untertitel. Dort ging es um Verantwortung von Bischöfen, Priestern und allen
Gläubigen, den sogen. Laien:
Das Leben in den Sakramenten ist die wichtigste Grundlage. Dafür braucht es zwingend die Priester und Bischöfe.
Das Leben mit Gott als Mittelpunkt(!), ist eine absolute Notwendigkeit. Dafür braucht es, genauso zwingend engagierte Gläubige, die das Leben mit Gott für
sich und die Gemeinschaft auch einfordern und sich selbst umfassend einbringen.
Nur dort, wo Gott im Mittelpunkt steht und die Vermittlung seines Wortes, entwickelt sich Kirche, entwickeln sich Gemeinden, entwickelt sich der Glaube
zukunftsgerichtet und bietet eine enorme Anziehungskraft. Gemeinden wachsen mit:
•
klarer Liturgie
•
Hinwendung zu den Sakramenten
•
fachlich guter Katechese, also der Vermittlung des Wortes und
•
lebendiger Gottesnähe
„Herr, lass uns in unseren Gemeinden so lebendig glauben, dass auch die
geistlichen Berufungen wieder zunehmen.“, fügen wir häufiger in unsere Fürbitten
ein. Das ist kein verzweifelter und leerer Wunsch. Das ist klare und ehrliche
Erfahrung. Der Bedarf ist da und groß. Menschen warten auf Antworten. Wer kann
sie ihnen geben? Glaubensvermittlung ist unser Aller Aufgabe durch Taufe und
Firmung in die Welt gesandt.
Glaubensvermittlung ist bei Kindern anders als bei Erwachsenen, bei
Jugendlichen anders als bei Senioren, vielleicht bei Frauen auch anders als bei
Männern. Häufig genug profitieren wir voneinander. Menschen in besonderen
Lebenssituationen brauchen immer wieder neuen und eigenen Zuspruch.Im Sinne
des Evangeliums zu wirken, bleibt der zentrale Aspekt.
Glaube ist nicht „out“
Gott ist nicht vergessen.
Gott hat uns nicht vergessen.
Alles ist besser als der vielbeschworene Zeitgeist.
Dies hat nichts mit einer Art „Pfeifen im Walde“ zu tun. Erfolg und Wachstum von Gemeinden, Gruppen, Kreisen und Angeboten geben uns Recht.
Auch in unseren Gemeinden gibt es (Gott-sei-Dank) Menschen, die sich mit großem Engagement den (sich lohnenden) Herausforderungen stellen.
Herzlichen Dank an alle Glaubensvermittler! Wir können hier aus einer reichen Quelle schöpfen, auf einen großen Schatz zurückgreifen. Der Einsatz ist
nicht hoch genug zu würdigen. Haben Sie Mut! Arbeiten Sie immer weiter kreativ an der Glaubensweitergabe im Evangelium Christi.
Zum Abschluss eine Orientierung, die Alois Glück in seinem oben zitierten Buch so gibt:
„Es nützt aber auch nichts, nur große Ziele zu haben und dann den Weg zu scheuen. Auch die größten Ziele können nur durch zuverlässige Alltagsarbeit,
durch viele kleine Schritte erreicht werden. Wer im schwierigen Gelände zu große Schritte macht, stolpert leicht.
Der Mittelpunkt
Katholische Pfarrgemeinde
Sankt Johannis der Evangelist
Freiberg / Sachsen
Quelle: AdobeStock_629873750_Kalawin